Kai in Kanada

Kai soll kurz vor Mitternacht ankommen. Wir haben ein Auto gemietet und fahren nach Sydney. Wir machen uns seit langem mal wieder „stadt“fein und freuen uns auf einen unterhaltsamen Abend. Nur – in Sydney gibt es nichts. Einfach gar nichts. Wenigstens finden wir ein kleines Restaurant mit einer Speisekarte, die mehr als Pub-Food anbietet. Dafür hat sich der Ausflug gelohnt. Mittlerweile sagt Kai uns, dass er erst gg. ein Uhr morgens ankommt, nach unserem Essen noch fünf Stunden! Wir schauen uns das Kinoprogramm an. Nichts. Musik? Nichts. Wir stöbern durch ne Mall bis sie schließt, fahren zum Flughafen und schlafen im Auto.
Die nächsten zwei Tage fahren wir über den Cabot Trail, üben uns mit Pfeil und Bogen (falls Koyote, Bär oder Elch was von uns wollen) haben schöne Ausblicke, links und rechts gibt es jede Menge Wanderwege in unterschiedlichen Schwierigkeits- und Touristenbevölkerungsgraden.
Dann geht es mit dem Boot weiter und wir segeln nach Eskasoni ins Reservat der „First Nation“ – den Mi’kmaqs. Es gibt ein kleines Informationscenter und einen Rundweg, aber beides ist nicht sehr aufschlussreich. Das Thema „Indianer “ ist in Kanada gerade in den Kinderschuhen. Ich habe den Eindruck, auf beiden Seiten.
Wir ankern wieder in einer traumhaften Bucht – Martins Geburtstagsbucht. Das Wetter ist wie es sich gehört und Kai und ich servieren am Abend ein stilvolles Geburtstagsdinner. Und zur Feier des Tages begleitet uns hier ganz nah ein Adlerpaar. Ach ja, Koyoten, Bären und Elche….. wir haben nicht einen gesehen.

Back to Baddeck

Wir bleiben nur kurz in Baddeck, gehen vor allem mal wieder einkaufen, in Neufundland haben wir unsere Reserven ganz schön geplündert. Und geben unser Dinghy ab, es hat ein Leck. Wir brauchen es sehr oft, es ist unser Auto! Mit dem fahren wir fast täglich. Zwischen Ankerplatz und Land, über eine Bucht zum einkaufen, andere Leute (auf ihren Booten) besuchen, schwimmen, tauchen, schnorcheln. Unverzichtbar.

Wir haben noch drei Tage Zeit bis Kai nach Sydney (das in Nova Scotia!) kommt und segeln in den wunderschönen Washabuck River. Dort sind wir ganz allein, nur ein Adlerpaar soll dort wohnen. Wir können die Sonnenfinsternis richtig gut beobachten und machen kleine Erkundungen mit unserem Kajak. Das Ding ist klasse, aufblasbar, gleichzeitig extrem stabil, lässt sich sehr gut fahren – zu zweit oder allein.
Gegen Abend packen wir uns gut gegen Moskitoattacken ein und paddeln auf Adlersafari. Den riesig großen Horst haben wir gefunden. Leer. Wir warten eine Stunde im Sonnenuntergang, dann geben wir auf. Ausgeflogen. Wir paddeln zurück und werfen den Grill an.

Leben im Outport

Francois (einheimisch: Franz-way) liegt einfach nur spektakulär. Punkt. Wir haben – wie so oft – Glück und kommen samstags gegen 17.00 Uhr an, auf dem Dock stehen schon jede Menge Leute, um uns zu helfen und um sagen „Beeilt euch! Heute ist Francois Day und gleich gibt es Dinner im Community Center und danach Musik und Tanz!“ War nicht schwer uns zu überreden….. Das Dinner war sehr früh, der Tanz begann erst um 22.30! – nach acht Stunden Segeln waren wir eigentlich müde, aber nicht dabei sein ging natürlich gar nicht. DER Alleinunterhalter aus Francois hat dann auch richtig gut aufgespielt. Das gesamte Dorf, wir und noch ein englisches Paar haben kräftig das Tanzbein geschwungen. Uns kannte spätestens danach jeder. Und wir haben viel mitbekommen wie es sich an einem Ort leben lässt, zu dem weit und breit keine Straße führt, der drei Monate Sommer hat, außer Tundra, ein paar Beeren sehr wenig Vegetation und dann neun Monate Winter. Mit heftigen Stürmen und viel Schnee. Immerhin – es gibt eine Fähre, die täglich morgens in den nächstgelegenen Ort MIT Straße fährt und abends zurück. Wenn das Wetter es zulässt. Im letzten Winter ist sie acht Wochen lang nicht gefahren. Und konkret heißt es, vier Stunden Fähre, vier Stunden für Einkäufe, Arztbesuche, Erledigungen, vier Stunden Fähre. 72 ganzjährige Bewohner hat das Dorf noch, davon 9 Schüler. Der jüngste ist erst 7 Jahre alt. Aber nach ihm wird ziemlich sicher nichts mehr kommen. Vor 40 Jahren hatte die Schule noch 150 Schüler. Wir haben niemanden in Francois gesprochen, der daran glaubte, dass das Dorf überleben könne. Damit geht eine Kultur unter.

Auch wenn Einzelne sich Mühe geben – wie Lorreta und Greg mit Marc. Sie haben den wahrscheinlich abgelegensten Pub der Welt – a „Privat Pub“. D.h. sie haben einen alten Fischerschuppen umgebaut. Wichtigstes Möbel ist der Kühlschrank, in dem immer einige Biere sind, ansonsten bringt jeder was mit. Kaufen kann man nichts. Und dieser Pub ist der gemütlichste, den man sich vorstellen kann…… Aber nur offen, wenn die drei aus Halifax in Francois sind.

Wir sind die Flanken des Fjordes hoch gelaufen. Dort oben sind nur Tundra, Seen, Granit, Wind und atemberaubende Ausblicke!

Francois ist auch unser Wendepunkt. Die Wettervorhersagen sehen gar nicht gut aus, viel Wind und Wellen, am liebsten aus der falschen Richtung. Aber wir müssen zurück, um Kai rechtzeitig abholen zu können. Plötzlich tut sich ein günstiges Wetterfenster für ca. 30 Stunden auf, Skipper Martin entscheidet – sofort los! Und er hat recht – wir kommen gut wieder nach Nova Scotia und machen nach knapp 30 Stunden in Baddeck (wieder Bras d’Or Lakes) fest – und kräftiger Wind und Regen sind da. Ich bin sehr froh.

Moosepoop ohne Bärentöter

Old Shatterhand hatte einen Bärentöter, Winnetou eine Silberbüchse. Und ich? Nichtmal eine Zwille.

Wir sind in Newfoundland, an der Südküste, in der Billard Cove. Eine fast kreisrunde Ankerbucht mit schmaler Einfahrt, dicht bewaldet und bebuscht, wir haben schon bei der Einfahrt einen Adler gesehen, dann waren wir erstmal eine Stunde beschäftigt unser Boot in dieser Pfütze festzumachen.

Lydia hat mich am nächsten Tag am Rand der Bucht mit dem Dinghy abgesetzt, ich will auf den Hügel hinter der Ankerbucht. Hier ist es echt einsam. Eine kleine Jagdhütte, sonst nix. Kein Handyempfang, meilenweit keine Menschenseele. Der Hang ist nicht besonders steil, bestenfalls blaue Piste, hat unten ein paar Wasserlöcher, ist dann felsig durchsetzt und von oben bis unten mit Tundra bewachsen. Da hoch? Och, geht eigentlich ganz einfach, man muss nur den zahlreichen Wildwechseln folgen. Ich lasse die Wasserlöcher rechts liegen und steige auf, in dem einen oder anderen Felsenband gibt es ein paar Höhlen. Der Pfad wird ein bisschen modderig, man kann Tierspuren sehen. Hoppla, das ist aber ein strammer Abdruck! Zweihufer, ziemlich beeindruckend. Etwas später ein Haufen, viele kleine Kugeln, größer als Murmeln, kleiner als Tischtennisbälle. Vor ein paar Tagen hatte Lydia für Victor Newfoundland-Schokolade zum Geburtstag gekauft, „Moosepoop“ – Elchsch…. stand drauf. Die Schokodinger hatten in etwas gleiche Form und Größe. Arbeitshypothese: es gibt Elche hier.

Der Grossstadtindianer kommt durch! Tierspuren in der Tundra können unter Umständen schon ewig dort sein. Vielleicht aber auch nicht? Ich gehe zum Wasserloch und untersuche den Boden. So langsam beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Ob es auch Bären hier gibt? Also wenn ich Bär wäre, dann würde ich mich auch in der Nähe des Wasserlochs aufhalten, vielleicht in einer dieser gemütlichen kleinen Höhlen die ich eben noch gesehen hatte? Ach, vielleicht fotografiere ich die Tierspuren jetzt doch nicht mehr (müsste die Kamera aus dem Rucksack holen …) und funke Lydia schon mal zu, dass sie mich wieder abholen kommt. Laut pfeifend und etwas zügig gehe ich zum Strand hinunter.

Auf dem Weg zum Billard Cove haben wir unsere 9000 Meilen geknackt…..

 

New“found“land – Now“lost“land – Grand Bruit

Wir segeln weiter nach Grand Bruit, einem der vielen Outports ( das sind die Orte, die nur per Schiff erreicht werden können) an der felsigen, von Fjorden durchzogenen Südküste. Dieser Ort ist 2010 aufgegeben worden und ist damit einer der letzten, die bisher verlassen wurden. Die Regierung hat schon seit vielen Jahren ein Programm zum Resettlement aufgelegt, denn die Versorgung der Outports – Schulen, Strom, Telefon, Lebensmittel, Medizin etc etc – ist extrem schwierig. Und – es gibt nach dem Leerfischen des Ozean – nicht mehr genügend Arbeit für die Menschen. Jede Familie, die sich entschließt, ihre Heimat zu verlassen, bekommt 250.000 $. Allerdings müssen die Bewohner eines Dorfes mit einer 90%igen Mehrheit beschließen das Dorf aufzugeben.

Wir haben Cheglia an dem sehr gut erhaltenen Dock festgemacht und sind durch das idyllisch gelegene Dorf gelaufen. Meine Kehle war zugeschnürt. Alle Häuser verlassen, die Stromleitungen durchgeschnitten, die Gardinen hingen oft noch. Welche Dramen haben sich hier abgespielt? Wer hat gegen wen gestimmt? Oder vielleicht – hoffentlich! – auch sachlich überzeugen können? Ich konnte die Nacht dort nicht verbringen und wir sind schnell wieder aufgebrochen – zu unserem einsamen Fjord.

Rose Blanche

Dieser kleine Ort ist bekannt für einen der schönsten Leuchttürme, der innen wie außen sehr liebevoll restauriert wurde: Das Leben eines Leuchtturmwärters kann man sich hautnah vorstellen. Und – hier kommen noch einige der sowieso schon wenigen Neufundland-Touristen vorbei, denn Rose Blanche ist für viele Kilometer der letzte Ort an der Südküste, der über eine Straße noch mit dem Rest der Welt verbunden ist. Trotzdem – die Schule wurde geschlossen, es gibt einfach nicht mehr genügend junge Familien und damit Schulkinder, die an der rauhen Küste leben wollen. Nein, richtig ist: leben können. Auch hier – und das hat mich total überrascht – ist das Meer leer gefischt. Vor 20 Jahren noch, haben 95% der Männer mit der Fischerei ihre Familien ernähren können. Dann war der Kabeljau, der die größte Einnahmequelle war, „plötzlich“ so reduziert, dass die Regierung über Nacht quasi ein komplettes Fischereiverbot für die bedrohten Kabeljaus verhängt hat. Bis heute haben sich weder die Fischbestände noch die Menschen oder gar die ganze Region von dieser Katastrophe wieder erholt. Die Fische sind weg, die Fischer sterben aus, die Dörfer sterben.

Was bleibt, ist die jahrtausende alte überwältigende Natur. Wir laufen lange über die Straße, um zu einem Wasserfall zu kommen. Eine kleine Erfrischung finden wir an einer kleinen Tankstelle und dann später auf dem Parkplatz vor dem Wasserfall ein Wohnmobil aus Deutschland. Schöne Überraschung!

Neufundlaaaaand….

Von unserem gemütlichen Ankerplatz im Little Harbour sind wir nach Baddeck weitergefahren, dem kleinen Provinzstädtchen ungefähr in der Mitte der Seen. Dort konnten wir mal wieder einkaufen, hatten gutes Internet und sind schön essen gegangen – natürlich! – Lobster und Cod (Kabeljau). Von dort sind wir am Vormittag in aller Ruhe gestartet, denn Martin hatte genau ausgerechnet, wann wir an der Engstelle sein mussten, die das östliche Ende der Seen mit dem Nordatlantik verbindet. Da ist soviel Strömung, das funktioniert nur in die richtige Richtung. Und unser timing stimmt! Hat Martin mal wieder so gut gemacht…. Wir schießen mit fast 11 Knoten durch die Meerenge – und sind wieder im Nordatlantik. In dem kleinen sehr geschützten natürlichen Hafen von Ingonish werfen wir nochmal für eine kurze Nacht den Anker (was gar nicht so leicht ist, denn entweder ist es sehr flach oder – schon wenige Meter weiter – sehr tief). Mit dem allerersten Lichthauch am nächsten Morgen geht es los. Nach einer Rauschefahrt mit kräftigem Wind aus der richtigen Richtung kommen wir gegen 17.00 Uhr in Neufundland an, Sehnsuchtsziel! Und wirklich – alles sieht so anders hier aus. Anders als alles, was wir jemals gesehen haben. Rau, steinig, zäh, kleine Häuser mit kleinen Fenstern und irgendetwas wirkt so ungewohnt. Was ist das, fragen wir uns. Die Häuser haben keine Gärten! Sie stehen da einfach da, zwischen Granitblöcken und harten Grasbüscheln. Der Sommer ist hier einfach zu kurz für Gartengestaltung.

Wir haben unser Boot gerade festgemacht, da kommt die Lokalreporterin an und fragt, ob sie ein Interview mit uns machen kann – Schiffsmeldungen. So heisst übrigens ein gutes Buch, das in Neufundland spielt!

Hier ist der Artikel: http://www.gulfnews.ca/community/2017/8/14/talking-with-tourists.html